Untertitel / Graf. Technik:
Ein Konstrukt zur Vermittlung bürgerlicher Werte und Verhaltensnormen und seine praktische Umsetzung in der Deutschschweiz 1880-1940
Bemerkung:
Es ist bekannt: Das Koordinatensystem, in dem das Leben und Denken in der industriellen Moderne befestigt ist - die Achsen von Familie und Beruf, der Glaube an Wissenschaft und Fortschritt -, gerät ins Wanken. Weitgehend unbekannt ist, wie sich diese bürgerlich geprägten Achsen industriegesellschaftlicher Werte und Verhaltensweisen überhaupt erst durchsetzten. Ausgangslage der Untersuchung bilden die Ende des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Schweizer Städten durchgeführten Wohnungserhebungen. In diesen Gemeinschaftswerken von Nationalökonomie und Hygiene äussert sich eine umfassende wissenschaftliche Vorstellung dessen, was «gesundes Wohnen» zu sein habe. Letzteres erweist sich als von beiden Wissenschaften konstruierte bürgerliche Wirklichkeit, als eine Neudefinition des Menschen- und Gesellschaftsbildes. Als Hüterin dieser Wirklichkeit amtete die Wohnungsaufsicht. Ausgestattet mit strafrechtlichen Mitteln hatten die Behörden gegen das «ungesunde Wohnen» vorzugehen. Eindrücklich wird gezeigt, wie sich die staatliche Eindringpraxis in die Wohnungen auf die Lebenschancen und auf die alltägliche Erfahrung breiter Bevölkerungsschichten auswirkte, wie sich die betroffenen Menschen die geschaffenen Bedingungen ihres Handelns aneigneten und diese deuteten und dass es schliesslich komplexe Wechselwirkungen zwischen Anreiz und Druck waren, die die Durchsetzung der bürgerlichen Lebensführung bestimmten.