Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Buches.
«Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für mich»
Das antiquariat peter petrej feierte im September 2021 sein 28-jähriges Bestehen. Ich möchte dieses Jubiläum dazu benützen, mit dem folgenden kurzen Text Rückschau zu halten und dabei einige (persönlich gefärbte) Bemerkungen zu den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten des antiquarischen Buchhandels zu machen.
Freundliche Grüsse, Peter Petrej
Seit ich während dreier Jahre als Antiquariatsgehilfe im damals flächenmässig grössten Stadtzürcher Antiquariat «Das gute Buch» von Sigismund Seidenberg beim Lindenhof tätig gewesen war, war ich vom Antiquariatsvirus infiziert. Aber erst eine dreimonatige Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela gab mir den Mut dazu, das Wagnis einer Geschäftsgründung einzugehen: 1993 übernahm ich mit einem von Freunden gepumpten Startkapital von CHF 70 000. die «Buchhandlung Schibli» an der Sonneggstrasse 29 im Kreis 6 in Zürich. Sämtliche Banken lehnten meine Anfrage um einen Kontokorrentkredit von bescheidenen CHF 30 000. ab, vielleicht weil ich nicht mehr gefordert hatte oder sie meinem Ansinnen alle Chancen auf Erfolg absprachen.
Der Anfang gestaltete sich erfreulich, doch musste ich feststellen, dass im Ladenlokal obwohl im Hochschulquartier situiert kaum Kundschaft auftauchte. Rasch wurde mir klar, dass ein Ladenantiquariat an einer wenig frequentierten Strasse nicht lange zu halten war. Wenn also die Kunden nicht zu mir kamen, musste ich eben zu ihnen gehen
Ich begann also damit, nach altbewährter Art gedruckte Kataloge mit den Angeboten zu produzieren, die ich bald zweimal jährlich erfolgreich in die ganze Welt verschickte, vor allem natürlich nach Deutschland, unserer bis heute wichtigsten «Exportdestination». In diesen Jahren konnte ich bis zu vier Teilzeitangestellte beschäftigen. Mit der Etablierung des Internets eröffnete sich bald ein nächster Absatzkanal; ich werde weiter unten darauf eingehen
Seit etlichen Jahren ist der Betrieb schuldenfrei und erfreut sich eines gesunden Geschäftsgangs. Dies ist aber nur möglich, weil der Hausbesitzer von uns einen moderaten Mietzins verlangt. Dass in den letzten Jahren viele Antiquariate (und kleine Geschäfte überhaupt) in den Stadtzentren geschlossen wurden, hat oft mit den ständig steigenden Mieten zu tun, die mit einem normalen Geschäftsgebaren nicht zu finanzieren sind. Für das Waschen von dubiosen Geldern ist ein Antiquariat glücklicherweise immer noch ungeeignet.
Antiquar sein ist wie Bauer sein eine Lebensform, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche (was aber vermutlich für die meisten Selbständigen gilt). Und wer reich werden will, dem kann eine Karriere im Antiquariat nicht empfohlen werden. Antiquar sein heisst neugierig sein auf Menschen und deren Bibliotheken. Noch heute geniesse ich Besichtigungen sehr, zeigen sie mir doch andere Lebenswelten, zu denen ich sonst keinen Zutritt hätte. Ein Antiquar ist eine Art Ethnologe, der eine fremde Insel betritt.
Nicht selten überkommt den Antiquaren die Lust, Bücher nicht nur zu verkaufen, sondern auch selber zu veröffentlichen, also verlegerisch tätig zu sein. Dies hat mich zu teilweise reichlich kostspieligen Ausflügen ins Verlagswesen bewogen, die mir aber letzlich sehr viel Vergnügen bereiteten.
Zusammen mit der leider verstorbenen Dichterin Aglaja Veteranyi und dem Künstler Jean-Jacques Volz publizierte ich 1999 eine bibliophile Grafikmappe «Geschenke Ein Totentanz» in einer Auflage von 50 Exemplaren heraus. Einen schöneren Grabstein als ein solches Werk gibt es wohl nicht!
Zusammen mit Hanspeter Manz, dem ehemaligen Filmbuchhändler in der Stadtzürcher Buchhandlung Rohr und Asconeser Antiquaren, gab ich 2001 das berühmte, 1934 bei Oprecht erschienene und von Max Bill gestaltete «Ascona Bau-Buch» als Faksimile neu heraus, nun ergänzt mit einem Kommentarheft von Bruno Maurer und Christoph Bignens. Das Buch setzt sich mit dem «Neuen Bauen» im Tessin auseinander und ist bis heute ein wichtiges Werk über die Architektur der Zwischenkriegszeit in der Schweiz.
Meine letzte Verlagspublikation entstand aus der Freundschaft mit dem Photographen René Groebli. Begeistert von seinem Werk «Magie der Schiene» von 1949 wagten wir 2009 die Veröffentlichung eines Faksimiles des Buches, ergänzt mit einer kurzen Biographie und einem Film von Phil Dänzer. Die Produktion gestaltete sich schwierig, mussten wir doch die edle Technik des Kupfertiefdrucks durch Offset ersetzen. Dies gelang uns letztlich, vor allem dank dem aussergewöhnlichen Engagement des Geschäftsführers der Sihldruck AG Andreas Hostettler. Es war für mich dann eine grosse Freude, als der Photograph von mir verlangte, dass der Reprint als solcher gekennzeichnet werden sollte, um eine Verwechslung mit dem Original auszuschliessen.
Als ich vor einigen Jahren einen jungen Verleger kennenlernte und ich ihn zur finanziellen Situation befragte, sagte er mir salopp: «Am besten ist es, wenn man einen stattlichen Batzen erbt, den man dann mittels Büchern unter die Leute bringt, bis er weg ist.» Da ich dieser Aussage nur zustimmen kann, habe ich eben mangels Erbe denn auch mit dem Büchermachen aufgehört.
Nun wieder zum oben angesprochenen zweiten Absatzkanal: Als zweiter Schweizer Antiquar beschloss ich 1997, nach einem Berner Kollegen, dem damals jungen und noch selbständigen «Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher» (ZVAB) beizutreten. Das erwies sich schon bald als sehr profitabel und auch als weitsichtiger Entscheid Die Umsätze stiegen bis 2000 stetig an, was sehr erfreulich war. Weniger erfreulich war dann, dass die Verkaufspreise bereits in den Nullerjahren zu sinken begannen, was leider bis heute anhält.
Bei gleichzeitigem Sammlersterben boten immer mehr Antiquare und Privatpersonen ihre Bücher auf immer mehr Plattformen an, sodass die Preise sich langsam gegen Null zubewegten. Das freut den heutigen Sammler natürlich, doch spätestens wenn er seine Bücher verkaufen will, wird er mit dieser fatalen Martklogik konfrontiert seine ehemaligen Schätze sind oftmals wenig oder nichts mehr wer.
In den letzten Jahren bin ich des öfteren mit einem eher unerfreulichen Aspekt meiner Arbeit konfrontiert. Dann nämlich, wenn ich eine grosse, gepflegte Bibliothek bewerten soll, in die der Sammler viel Herzblut und Geld gesteckt hat und ich ihm nur einen Bruchteil dessen anbieten kann: weil sich einerseits Sammlermoden ändern, andererseits aber darum, weil das Internet (auch) den Büchermarkt massiv verändert hat.
Ein Beispiel: Erstausgaben der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, bis in die 1990er Jahre sehr begehrt und schnell zu verkaufen, bringen heute nur noch einen Bruchteil der früheren Preise. Ebenso bibliophile illustrierte Bücher, die heute nur selten einen Liebhaber finden, der sie zu schätzen weiss. Aber so ist die eben aktuelle Marktlage
Dieselbe Tendenz finden Sie übrigens im gesamten Sammlerspektrum: Ob Sie Teppiche oder Bauernmöbel sammeln vieles lässt sich heute an Auktionen ohne ein Gegengebot günstig erwerben.
Die bürgerliche Sammlerkultur scheint in den letzten Jahren in eine Krise geraten zu sein. Die zunehmende Mobilität der Menschen steht der Sammlerkultur im Wege. Wer sammelt, braucht einen festen Ort, an dem er die Objekte seiner Begierde versammeln kann und natürlich das entsprechende Spielgeld. Und die aktuellen Lifestyle-Heftli zeigen asketisch leere Räume ohne Büchergestelle und mit Glasfronten, die Bücher und Bilder der Sonne aussetzen, was übrigens zu irreparablen Schäden führt.
Explodierende Preise gibt es nur bei den weltweit nachgefragten Objekten, wie man regelmässig aus den Medien erfahren darf. Aber wer von uns spielt schon in dieser Liga?
Seit 2004 betreibe ich eine eigene Homepage (www.buch-antiquariat.ch) mit einer Volltextsuche, auf der aktuell über 28 000 Bücher, Gemälde und Grafiken zu finden sind. Diese wird immer wichtiger, da die grossen Bücherplattformen fast alle der gleichen Firma gehören, die uns Antiquare immer mehr zu Erfüllungsgehilfen degradiert und bei jedem Verkauf bis zu 25 % Provisionen kassiert. Auch sonst verhält sich das Unternehmen asozial und zahlt nur wenig Steuern, wenn überhaupt. Die Aktionäre freuts.
Seit 2006 versenden wir regelmässig, alle 23 Wochen, Newsletter mit unseren Neueingängen, was von einer steigenden Zahl unserer Kunden sehr geschätzt wird. Dabei ist uns die Datenpflege sehr wichtig und wir bemühen uns, sorgfältig damit umzugehen gerade im Hinblick auf die neuen Datenschutzbestimmungen.
Wir hoffen, uns auch mit der Qualität unserer Buchbeschreibungen von den Grossantiquariaten, die mit Niedrigstpreisen und gigantischen Angeboten operieren, abzuheben. Die akkurate Beschreibung verbindet uns zum einen mit der antiquarischen Tradition, zum andern dient sie dazu, missliche Überraschungen aufseiten der Kundschaft auszuschliessen. Und dies hat seinen Preis. Mit Preisrobotern Computerprogramme, mit denen Grossantiquare ihre Verkaufspreise dem aktuellen Angebot entsprechend automatisch, und meist gegen unten, anpassen können und wollen wir nicht mithalten.
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich nur die männliche Form benütze? Weil Frauen im Antiquariatsgewerbe leider kaum eine Rolle spielen. Zwar finden sich einige wenige Antiquarinnen, aber kaum Sammlerinnen. Ein Phänomen, das schon längst hätte bearbeitet werden müssen. In meinen 25 Jahren als Antiquar habe ich nur zwei wirkliche Sammlerinnen kennengelernt, beide interessanterweise aus Basel, und beide sammeln illustrierte Bücher von Frans Masereel. Früher haben sie mich regelmässig besucht. Heute sehe ich sie höchstens noch einmal im Jahr.
Natürlich ist der Kampf mit dem beschränkten Platz ein Dauerthema im Antiquariat. Zwei externe Lager sind gefüllt, ein drittes wird demnächst in Betrieb genommen.
Ein Antiquar wird zum Messie diese Gefahr ist real und kann bei etlichen Kollegen besichtigt werden: Bücher stapeln sich vor den Gestellen, sodass nur noch ein schmaler Pfad daran vorbeiführt, Bücher sind zweireihig auf den Tablaren etc. Um dem vorzubeugen, muss der Antiquar ständig entscheiden, was kulturell und auch ökonomisch sinnvoll ist, was erhalten werden soll.
Darum ist ein Antiquar immer auch ein «Büchervernichter», wenn er die Spreu vom Weizen trennt. Dies verlangt grosses Wissen und Weitblick. Und trotzdem wird er immer auch Bücher dem Altpapier zuführen, die in einigen Jahren ihren Kunden finden würden. Aber das endlos grosse Lager, das nichts kostet, gibt es nicht. Schon gar nicht in Zürich.
Darum muss er sich immer wieder von Büchern trennen. Oft schon habe ich hin und her überlegt, ob ein Buch ins Gestell oder in den Papiercontainer soll. Eine machmal wirklich schwierige Frage. Aber was ist zu tun, wenn der Preis eines Buchs schon mehrmals gesenkt wurde und es trotzdem keinen Käufer findet? Für praktikable Antworten wäre ich sehr dankbar!
Immer wieder erlebe ich, dass mich schlichte Gemüter in die Tradition der «Bücherverbrenner» stellen. Aber so einfach ist es eben nicht. Denn auch die Welt der Bücher ist letztlich Teil der Konsumgesellschaft mit ihrer meist kurzlebigen Massenproduktion.
Jeder Antiquar ist Kaufmann, aber auch Bewahrer und Vermittler von Kultur und Wissen. Ich freue mich über jeden Verkauf, und zwar nicht nur wegen des Umsatzes, sondern weil es mich freut, wenn ein Kunde ein Einzelstück bei mir gefunden hat. Um diesen Kreislauf weiter zu beleben, kaufe ich gerne auch weiterhin besondere Bücher und ganze Bibliotheken an.
Im Gespräch mit Antiquarskollegen stellen wir immer wieder fest, was für einen beglückenden Beruf wir ausüben dürfen. Und keiner bereut seine Wahl. Antiquar zu sein ist eine Passion, die wir nicht aufgeben wollen. Auch wenn dem Buch ein rauher Wind entgegen blässt, sind wir und ich voller Zuversicht, dass das interessante und schön gestaltete Buch auch weiterhin einen Platz in unserer Kultur haben wird.
Ein Buch kann man auch nach 500 Jahren noch lesen auch ab heute gerechnet. Die digitalisierte Form unter Umständen nicht mehr. Alles deutet darauf hin, dass es immer Bibliophile (Verleger, Buchhändler und Käufer) geben wird, die die Buchtradition weiterführen werden. Ich als Bücherfreund und Antiquar bin da ganz zuversichtlich!
Im Totenmonat November in dem tradionellerweise der Verstorbenen gedacht wird, zeigt der Künstler Peter Beckmann aus Bochum unter dem Titel: «Totentanz mit Diktatoren» seine neue Totentanzfolge von 13 Grafiken im «antiquariat peter petrej».
Diese Ausstellung (3. November bis 10. Dezember 2016) soll, passend zur Herbststimmung, uns wieder an die Vergänglichkeit der eigenen Existenz erinnern. Das Leben wird dadurch intensiver, der Konsum unwichtiger.
Der deutsche Künstler Peter Beckmann, geboren 1953 in Bochum, wo er lebt und
arbeitet, hat bereits mehrere Totentanz-Folgen nach altem Muster fertiggestellt: 1980 eine Neubearbeitung des «Totentanz von Basel», 1989 «Noch ein Totentanz». Seit 2008 arbeitet Beckmann ausschliesslich zum Thema Totentanz: 2009 «Ein Totentanz der Berge», 2010 «Der Tod und die Mädchen», 2014: «Bauernhochzeit nach Sebald Beham«, 2015: «Der Totentanz der Landsknechte».
«Totentanz mit Diktatoren», Auflage 20 Exemplare. Buchnummer 72738.
Vom mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten politischen Amt in der Zeit der Römischen Republik, das zeitlich befristet war, hat sich der Begriff «Diktator» entwickelt und bezeichnet im modernen Sinn einen unumschränkten Machthaber der in der Regel über Leichen geht.
Dass zeigt Peter Beckmann in seiner neuen Totentanz-Grafikfolge «Totentanz mit Diktatoren», deren Grundlage Briefmarken mit dem Konterfei diverser Herren sind, kombiniert mit tradionellen Tänzen der jeweiligen Länder.
Vertreten sind tote und leider noch lebende Männer, die alles tun, um an der Macht zu bleiben; Baschar al-Assad und Kim Jong-un sind aktuelle Beispiele. Ausserdem kommen vor: Ceausescu, Chomeini, Franco, Muammar al-Gaddafi, Hitler, Saddam Hussein, Mao Zedong, Mussolini, Pinochet, Stalin, Videla. Die Reihe wäre leider noch fortsetzbar.
Starke Männer erfreuen sich in letzter Zeit wieder vermehrter Sympathie. Nach den klaren Machtverhältnissen bis zum Fall der Mauer ist die Welt unruhiger geworden, und vielen Menschen erscheint die Führung durch einen «guten Diktator» wie etwa Putin als akzeptable Regierungsform.
Sieht man sich das Chaos an, das nach dem Sturz der jeweiligen Alleinherrscher in Libyen und dem Irak ausgebrochen ist und das unzählige Opfer gefordert hat (und täglich noch fordert), da fragt man sich, ob der Sturz dieser Leute im nachhinein das kleinere Übel nicht der falsche Weg war.
Würde man Anlog zu Schirachs «Terror» rückblickend ein Verfahren über Saddam Hussein und Gaddafi einleiten und die BürgerInnen abstimmen lassen, ich bin sicher, diese würden freigesprochen werden. Das, was danach folgte, ist viel schrecklicher und mörderischer.
So ist Peter Beckmanns «Totentanz mit Diktatoren» nicht nur eine Anklage, sondern stellt auch die Frage, ob der Export unserer jungen Demokratie in andere Weltgegenden mit anderen Lebensumständen nicht eine Überforderung für diese Länder darstellt.
Schaut man auf die Schweiz, die noch 1847 im Sonderbundskrieg ihre Meinungsunterschiede kriegerisch ausgetragen hat, wobei es zu ca. 100 Toten und etwa 500 Verletzten kam, so sollten wir etwas sensibler sein, was den Export dieser Regierungsform geht. Von den anderen Ländern gar nicht zu reden.
Und schaut man sich die Stimmbeteiligung der letzten Jahre an, da fragt man sich, ob nicht viele auch bei uns, einen «guten Diktator» gut ertragen würden, solang es Ihnen wohl ist und die nächsten Ferien garantiert sind.
Und wenn wir ganz ganz ehrlich sind, so ist unsere Regierungsform doch ein wenig Folklore, sind doch Banken und Grosskonzerne mit Ihren Lobbyisten die wahren Lenker dieses Landes. Und nicht die BürgerInnen, die den Stimmzettel einwerfen.
Aber vielleicht ist das Elend der Diktatur die Grundlage eines Wandels zu einer menschlicheren Gesellschaftsform.
Beckmanns Grafiken sollen einen Denkanstoss zu dieser Frage geben!
Als ich 1984 im damals grössten Antiquariat der Stadt Zürich «Das gute Buch» an der Rosengasse, bei Sigismund Seidenberg, meine Lehre als Antiquarsgehülfe begann, wusste ich noch nicht, dass ich mich dort mit dem Virus der Bibliophilie infizieren würde. Dieser Infekt führte dann Mitte 1992, nach langen inneren Kämpfen und einem Pilgermarsch nach Santiago de Compostela, zum Erwerb einer abgewirtschafteten Buchhandlung im Kreis 6 in Zürich.
Aus der Buchhandlung wurde nach der Renovation ein Antiquariat, das nun seinen 20. Geburtstag feiern darf.
Da es um meine Finanzen damals schlecht stand, durfte ich die interessante Erfahrung machen, dass, wenn man von etwas beseelt ist, sich immer Leute finden, die einem Geld leihen. Bekannte waren oft spendabler als enge Freunde, die des öfteren um ihre Investition fürchteten. 10 Jahre später war nach schwierigen Lernprozessen alles abbezahlt.
Zu Beginn arbeitete ich aus Gründen der finanziellen Sicherheit noch 50% als Maschinenbaukonstrukteur, meinem erlernten Beruf. Von Anfang an war ich darum auf loyale MitarbeiterInnen angewiesen. Chef sein ist wahrlich nicht einfach und das Erlernen dieser Funktion war ein für alle Beteiligten teilweise belastender Prozess. Ich bin aber stolz darauf sagen zu dürfen, dass mich mit den meisten der langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wie vor ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Und einer davon, und das freut mich ganz besonders, betreibt heute erfolgreich das einzige Sportantiquariat in der Schweiz.: www.sportantiquariat.ch
Seit der Gründung meines Buchantiquariates hat sich das Antiquariatswesen massiv verändert. Die meisten Ladengeschäfte mussten aufgrund des Aufkommens des Internets zu Versandantiquariaten umfunktioniert werden. Die steigenden Ladenmieten haben das ihre dazu beigetragen, dass immer mehr Läden verschwinden und Antiquariate von Wohnungen oder Lagerräumen aus betrieben werden. Oder das Gewerbe ganz aufgeben.
Und wenn Kunden nicht ins Geschäft kommen, weil online zu Bestellen so bequem ist, muss man eben zu ihnen gehen. Seit 8 Jahren versenden wir regelmässig Newsletter mit aktuellen Neueingängen, was von den Kunden sehr geschätzt wird.
Da die Liegenschaft, in dem sich das Antiquariat heute noch befindet, jetzt wie üblich meistbietend verkauft worden ist, findet die Aera meines Ladengeschäftes vermutlch ein unerwartetes Ende.
Kultur und Profitmaximierung schliessen sich eben aus, wie die Entwicklung zeigt.
Besuchen Sie uns im Laden, wir freuen uns.
PS: Und natürlich KAUFEN wir trotzdem gerne seltene Einzelwerke oder ganze Bibliotheken an.
DATENBANKEN
Datenbanken als Dienstleister tun so, als wären diese der Handel selbst und verdienen sich als das «weltweit größte Online-Antiquariat» ein goldenes Näschen (Einstellgebühren und Provisionen) am unternehmerischen Risiko und dem Wissen, das sich Antiquare in jahrelanger, andauernder Aus- u. Weiterbildung erarbeitet haben.
Natürlich ist es praktisch ein gesuchtes Buch rasch zu finden, aber man darf dabei andere Aspekte nicht ausser Acht lassen.
PREISZERFALL
Aufgrund des Überangebotes im Internet findet ein richtiger Preiskampf statt und Preise, auch von seltenen Büchern, tendieren seit Jahren nach unten.
Das freut die Kunden beim Kauf, jedoch erweist sich das dann beim Verkauf einer Sammlung als Bumerang, den dann erhalten diese nur noch wenige Fränkli für die jahrelang liebevoll zusammengesuchten Bände (Ausser natürlich es handelt sich um wirklich exquiste Kostbarkeiten).
In Deutschland gibt es seit einigen Jahren eine Firma, die Bücher mit ISBN-Nummern portofrei ankauft. Sie geben die Nr. in ein Programm ein und dieses sagt ihnen dann, was gezahlt wird. Die Titel werden dann beim angeblich grössten Buchhändler eingestellt und mittels Preisroboter täglich dem Markt angepasst. Immer einige Cents billiger als die Konkurrenz.
Dass ein seriöser Ankauf so nicht mehr möglich ist, versteht sich von selbst.
BERUFSWANDEL
Antiquar kann sich heute jeder nennen, der einige Bücher im Keller stehen hat. Und so sehen auch die Buchbeschreibungen ihres Angebots aus. Jede zweite Bestellung bei einem dieser «Kollegen» muss von uns retourniert werden, weil das Buch einfach nicht der Beschreibung entspricht. Letzthin erhielt ich ein illustriertes Buch ohne die darin enthaltenen Bildtafeln. Der «Kollege» riet mir dann, nachdem ich ihn überzeugen konnte, dass das Buch nicht komplett sei, zur Vernichtung des Buches.
LADENMIETEN
Unzählige Antiquare haben sich in Ihre Wohnung oder ins Lager zurückgezogen und betreiben das Geschäft von dort aus. Oder hören auf. In Deutschland ist dieser Prozess schon weit fortgeschritten, die Schweiz holt auf. Wer CHF 9000. für ein 80 m2 grosses Ladenlokal an der unteren Kirchgasse zahlen muss, kann das nur, indem er ein bisschen Drogengelder wäscht.
An den Geschäften der Zürcher Altstadt lässt sich dies immer mehr ablesen. Dubiose Kleiderläden, Touristenkneipen, Bars etc.
Die Ladenmieten in den Zentren werden nicht nur für Antiquare immer mehr zu einem grosses Hindernis. Ein Stück Kultur scheint dadurch allmählich zu verschwinden.
WERTEWANDEL
Sammeln von Büchern ist nicht en vogue. Mit einer Bibliothek, im Gegensatz zu Bildern kann man niemanden überraschen. Das Buch ist ein Medium der Langsamkeit, kann also nicht rasch aufgenommen werden, sondern braucht Stunden um sich bei der Lektüre zu offenbaren.
Der Zerfall der Ideale des Bildungsbürgertums und die Oekonomisierung der Bildung - gelernt wird was rasch Geld bringt sind weitere Faktoren.
FEHLENDER ANTIQUARENSTOLZ UND KEINE LOBBY
Antiquare sind Individualisten und tun sich schwer gemeinsam für ihre Belange einzustehen. Futterneid und unsinniges Konkurenzdenken sind weitere Gründe das der Antiquar im gesellschaftlichen Leben keine Rolle spielt. Und die «Vereinigung der Buchantiquare u.
Kupferstichhändler in der Schweiz», VEBUKU, tritt in der Oeffentlichkeit nicht auf und betreibt auch keine Lobbyarbeit.
GESCHLECHTERTRENNUNG
Frauen tauchen im Antiquariatsgewerbe marginal auf. Es ist ein Geschäft von mittelalterlichen Männern für ebensolche Kunden. Kundinnen kann man an der Hand abzählen. Oder kennen Sie eine Büchersammlerin?
AUKTIONIEREN
Im Zeitalter der totalen Oekonomisierung lassen Buchbesitzer oder ihre Erben die lukrativen Bücher lieber vom Auktionshaus abholen. Gezahlt wird erst nach erfolgter Auktion, abzüglich des Aufgeldes. Wobei nicht mal sicher ist, ob die Bücher einen Käufer finden.
Nicht so beim Antiquaren, der alles mitnimmt und sofort zahlt. Dieser Betrag ist manchmal sogar höher als die bei Auktionen erzielten Ergebnisse. Sind doch an Auktionen in erster Linie Händler vertreten und diese haben kein Interesse an hohen Ankaufspreisen.
Nachdem das Auktionshaus die «Rosinen» herausgepickt hat, wird für den restlichen Bestand ein Antiquar kontaktiert. Für diesen ist es aber jetzt nicht mehr attraktiv, da die sowohl vom bibliophilen wie oekonomischen Standpunkt interessanten Werke weg sind.
Oder die Erben des Bücherfreundes auktionieren das Ganze selber auf einer der entsprechenden Internetplattformen.
BROCKENHÄUSER
Ob von karitativen Institutionen oder von Privatleuten geführte Brockenhäuser, auch diese graben den Antiquaren das Wasser ab. Kein selbständiger Antiquar kann gegen derlei tiefe Buchpreise (aufbauend auf Gratisarbeit oder Löhne, die das Arbeits- oder Sozialamt bezahlt) bestehen.
Also beschränkt sich der Antiquar auf die teureren Stücke, was zur Konsequenz hat, dass auch Angestellte überflüssig werden. Hatten wir früher 3 Teilzeitkräfte, ist es heute nur noch eine einzige.
RESUMEE
Die Antiquare betreiben ein dahinsiechendes Gewerbe, dass nicht in der Lage ist, Antworten auf die drängenden Fragen im Zeitalter des Internets zu finden.
Es wäre nicht der letzte Beruf der die gesellschaftliche Entwicklung nicht überleben kann. Aber wäre es ein kultureller Verlust?
Freundlichen bibliophilen Gruss, Peter Petrej