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Der Schweizer Polyhistor Aegidius Tschudi (1505 - 1571) und sein Nachlass in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Führer durch die Ausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen [...]
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EA. - «Aegidius Tschudi, 5.2.1505 Glarus - 28.2.1572 vermutlich Glarus, kath., von Glarus, ab 1558 auch Landmann von Uri und ab 1566 von Schwyz. [...] Nach erstem Unterricht in der Lateinschule Huldrych Zwinglis, damals Pfarrer von Glarus, hielt sich T. 1516-17 in der Burse (Internat) von Glarean in Basel auf, mit dem er zeitlebens in Briefkontakt stand. Kriegsdienste 1523 in Oberitalien und 1536 als Hauptmann in Südfrankreich blieben Episoden. Seine polit. Laufbahn begann T. 1530-32 als Landvogt von Sargans, es folgten 1532-33 das Amt des fürstäbt.-sankt-gall. Obervogts von Rorschach und 1533-35 sowie 1549-51 jenes des Landvogts der Grafschaft Baden, wo T. in Vindonissa (Windisch) erstmals mit röm. Altertümern in Berührung kam. Ab 1533 Ratsherr, spielte T. auch in der Glarner Politik eine zunehmend wichtige Rolle und amtierte 1554-58 als Landesstatthalter und 1558-60 als Landammann, wobei er auch als Bauherr tätig war (Rathaus und Spital in Glarus). Er vertrat das Land Glarus regelmässig auf eidg. Tagsatzungen, daneben wurde er häufig zu Schiedsgerichten oder anderweitig als jurist. Berater und Vermittler beigezogen. 1549 war T. Glarner Gesandter zur Bündnisbeschwörung mit Kg. Heinrich II. von Frankreich, 1559 eidg. Gesandter zu Ks. Ferdinand I. an den Reichstag von Augsburg. Im Glarnerhandel (auch Tschudikrieg genannt) exponierte sich T. 1559-60 als führender Vertreter der Altgläubigen mit der Forderung nach militär. Intervention und Rekatholisierung durch die Innerschweizer Orte. Mit dem Scheitern seiner Pläne zog er sich aus der Tagespolitik zurück und lebte 1562-65 im Exil in Rapperswil (SG). Von dort aus wirkte er während des Konzils von Trient als Berater von Abt Joachim Eichhorn von Einsiedeln und verfasste als Laientheologe Schriften über die Heiligenverehrung und das Fegefeuer. Als Gelehrter ohne Universitätsstudium blieb T. zeitlebens Autodidakt. So unternahm er 1524 eine ausgedehnte Alpenwanderung und 1538 eine Romreise, baute sich ab 1527 eine Privatbibliothek auf und begab sich, unterstützt von seinem Mitarbeiter Franciscus Cervinus, wiederholt auf Archiv- und Bibliotheksreisen durch die Eidgenossenschaft, zuletzt 1569 nochmals in die Innerschweiz. Auch seine Amtstätigkeiten nutzte er für die systemat. Suche nach hist. Quellenmaterial (Urkunden, Chroniken, Nekrologe, Urbare, Inschriften, Münzen). Den wissenschaftl. Austausch im Briefverkehr pflegte T. nur phasenweise, so mit Niklaus Briefer und Beatus Rhenanus am Oberrhein, später mit Zacharias Bletz in Luzern und Johannes Stumpf, Heinrich Bullinger und Josias Simmler in Zürich. Dabei blendete er den konfessionellen Gegensatz ausdrücklich aus. Von T.s Werken wurde zu Lebzeiten nur die landeskundl.-hist. "Alpisch Rhetia" gedruckt, zu der eine von T. selbstständig entworfene und breit rezipierte Schweizerkarte gehörte, die erstmals das ganze Gebiet der Schweiz im Detail festhielt und sich durch ihren Namensreichtum auszeichnete. Daneben war T. der wichtigste Beiträger zur 1547-48 publizierten Schweizerchronik von Johannes Stumpf. Seine eigene Schweizerchronik blieb unvollendet (Frühfassung von 1532-33; sog. Urschrift aus den 1550er Jahren zum Zeitabschnitt 1200-1470; sog. Reinschrift von 1568-72 zum Zeitabschnitt 1000-1370); sie wurde erst 1734-36 unter dem Titel "Chronicon Helveticum" von Johann Rudolf Iselin publiziert, der zugehörige, topografisch aufgebaute Teil zum Zeitabschnitt vor 1000 erst 1758 unter dem Titel "Gallia Comata". Nach diesen Veröffentlichungen wurde T. von Beat Fidel Zurlauben 1760 als "père de l'histoire helvétique" bezeichnet, seine in die Jahre 1307-08 datierte Darstellung der sog. Befreiungstradition in Friedrich Schillers Schauspiel "Wilhelm Tell" (1804) literarisch verewigt, die Rezeption seines Werks aber auch eingeengt, mit Nachwirkungen bis ins 20. Jh. Erst die Neuedition im letzten Drittel des 20. Jh. konnte aufzeigen, dass sich in T.s Schweizerchronik - neben der am Lebensende und aus patriot. Verpflichtung gegenüber der eidg. Elite verfassten eidg. Gründungsgeschichte - auch früher verfasste Abschnitte wie die "Histori des Zürichkriegs" finden, in der T. die Entstehung der Eidgenossenschaft als dauerhaftes polit. Gebilde realistisch ins 15. Jh. verlegt. T.s Nachlass mit den Werkmanuskripten sowie Kollektaneen verblieb nach seinem Tod in Familienbesitz auf Schloss Gräpplang und wurde 1767-68 z.T. an die Stadt Zürich, z.T. an das Kloster St. Gallen verkauft» (HLS).