Bemerkung:
EA. Neupreis CHF 30.00. Erschienen zur Ausstellung in der Graphischen Sammlung der ETH, Zürich. - «Josef Felix Müller wächst auf einem von seinem Vater geführten Bauernhof in Oberriet auf. 1971–75 Lehre als Stickereientwerfer bei Jacob Rohner in Rebstein und an der Schule für textiles Gestalten in St. Gallen; Beginn der künstlerischen Tätigkeit. 1979 Heirat mit Monika Hutter und Geburt der Tochter Vera. 1981 Beschlagnahme von drei Bildern, Busse wegen «unzüchtiger Veröffentlichungen». Seit 1983 Konzentration auf künstlerische und vermittelnde Tätigkeit. 1984 Aufenthalt in Frankreich. 1985 Gründer des Vexer-Verlags in St. Gallen. Mitbegründer der Kunsthalle St. Gallen, 1993–95 deren Leiter. 1996–99 Lehrbeauftragter für plastisches Gestalten an der ETH Zürich.Zu Beginn seines Schaffens widmet sich Müller in seinem skulpturalen, gemalten und grafischen Werk der Darstellung des Körpers und der existentiellen Erfahrungen des Menschen. Die Phase um 1980 ist der expressiven, nach Unmittelbarkeit drängenden Figuration verpflichtet. Im Prozess mehrfachen Übermalens entstehen Bilder, in denen sowohl schöpferisch als auch zerstörerisch wirkende Sexualität als treibende Energie erscheint. In Szenen blutiger Exzesse werden das Triebhafte und Dunkle der menschlichen Natur angesprochen, Themen im Kontext von Geburt und Tod klingen an. Betont rhythmisiert und schematisiert sind diese Bildfindungen als stets sich fortsetzende Ordnungsgefüge einer phallokratischen Gesellschaft lesbar.1982 wendet sich Müller der Holzskulptur zu. Mit selbst erarbeiteter Technik fertigt er ohne Entwurf und vorzugsweise mit der Motorsäge lebensgrosse Figuren und Figurengruppen, die er häufig bemalt. Seit Mitte der 1990er-Jahre kommen in den Werken auch versöhnlichere Aspekte wie das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Geborgenheit zum Tragen. 1996 schafft er, erstmals nach Modellen, lebensgrosse, teils bekleidete Frauenfiguren. Müllers Holzskulpturen zählen zu den prägnantesten zeitgenössischen Formulierungen figurativer Kunst.An der Jahrtausendwende vollzieht sich mit der Rückkehr zur Malerei und unter völligem Verzicht auf die Figuration zugunsten des Landschaftsbildes ein radikaler Wendepunkt im Œuvre Müllers. Er aktualisiert die Landschaftsmalerei an der Schnittstelle von Fotografie und Malerei. Während eines mehrwöchigen Arbeitsprozesses entstehen nach 2000 vorerst nach Fotografien die Alpen- und Gletscher-, danach nach eigenen digitalen Aufnahmen die Wald- und Quellenbilder sowie 2006–07 die Lichträume, die in ihrer Farbigkeit und Leuchtkraft die Ästhetik ihrer Vorlagen preisgeben. Das minutiöse Vergrössern der fotografierten Motive auf der Leinwand und der Malakt als vielschichtiges Übermalen setzen eine irritierende Parallelbildwelt frei: Allerei Getier tritt aus der vordergründigen Struktur hervor. Das Verfahren der medialen «Übersetzungsarbeit» infiltriert durch den unterschiedlichen Realitäsbezug und Eigensinn von Malerei und Fotografie die Spur einer magischen Dimension und erschliesst die Gleichzeitigkeit von Sein und Erscheinung.Das kritische Potential von Müllers Werk liegt zunächst in der Darstellung von Körperfragmenten als Chiffren für den Verlust und im Hinweis auf die Notwendigkeit der Reintegration dessen, was dem Zivilisierungsprozess zum Opfer fiel. Nach 2000 wird das Leiden an den gesellschaftlichen Prozessen der Zerstörung und Fragmentierung im Bild einer nicht wertenden, vielschichtig sich erneuernden Natur aufgehoben. Müllers Kunstverständnis ist im Glauben an die Wirksamkeit ästhetischen Einspruchs gegen Defizite verankert. Darin gründet sein als wichtiger Teil der schöpferischen Tätigkeit verstandenes, kulturpolitisches Engagement.Werke: Aargauer Kunsthaus Aarau; Öffentliche Kunstsammlung Basel, Museum für Gegenwartskunst; Kunstmuseum Bern, Stiftung Kunst Heute; Ludwig Museum Budapest; Bündner Kunstmuseum Chur; Städtische Galerie Erlangen; Friedrichshafen, Städtisches Bodensee-Museum; Gent, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Collectie Vlaamse Gemeenschap Brussel; Genève, Musée d’art et d’histoire; Houston, The Museum of Fine Arts; Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen; Les Sables d‘ Olonne; Musée de l‘ Abbaye Sainte-Croix; Saint Louis Art Museum; Kunstmuseum St. Gallen; St. Gallen, Abdankungshalle Friedhof Feldli, Menschensäulen, 1985, Pappel, mit Öl bemalt; Universität St. Gallen, Doppelfigur, Kugel, Stern, 1987–88, Pappel, Zahnmosaik; St. Gallen, Kantonale Verwaltung, Davidstrasse, Arbeitende Menschen, 1994, Ulmenholz, mit Öl bemalt; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen; Kunstmuseum Winterthur; Museum am Dom Würzburg; Kunsthaus Zürich; Zürich, Graphische Sammlung der ETH» (SIKART).