Bemerkung:
Wie entwickelt sich das Selbstbewusstsein einer Gruppe, eines Volkes, einer Nation oder einer Staatengemeinschaft? Welche unbewussten Prozesse wirken bei der Entwicklung von Sprache, Mythos und Sitte, durch die die Einzelnen miteinander verbunden sind? Diesen kulturwissenschaftlichen Fragen geht Wundt in seinen völkerpsychologischen Schriften nach. Sein historisch komplexes Werk, geprägt von geschichtsphilosophischen, positivistischen und liberal-kulturprotestantischen Gedanken, stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Herausforderung für die Soziologie, Psychologie, Philosophie, Religionswissenschaft, Ethnologie und Anthropologie dar. In seinem Anliegen, die sich ausdifferenzierenden Wissenszweige in einem umfassenden Wissenschaftsschema logisch-strukturell zusammenzuhalten, erkennen wir das heutige Bedürfnis nach Interdisziplinarität.Der Physiologe, Psychologe und Philosoph Wilhelm Wundt (1832 - 1920), Begründer der Psychologie als eigenständige Wissenschaft, legte mit seiner mehrbändigen "Völkerpsychologie" ein monumentales Werk zur Kulturpsychologie zu Beginn des 20 Jahrhunderts vor. "Das kulturpsychologische Wissen der Zeit wird zusammengefasst und theoretisch strukturiert. Der geistig-kulturelle Prozess wird nach einem System psychologischer und erkenntnistheoretischer Prinzipien analysiert. Wundt hebt ungefähr 20 fundamentale Motive der kulturellen Entwicklung hervor. Beispiele sind: Lebensfürsorge und Arbeitsteilung, Jungenpflege und Gemeinschaft, Selbsterziehungsmotiv, Herstellungs- und Nachahmungsmotiv, Beseelung und magisches Motiv, Rettungs- und Erlösungsmotiv, Spieltrieb und Schmuckmotiv, und Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit."