Bemerkung:
Widmung und Postkarte des Sohnes Wolf Wirz an seine Schwester. - 1923, in seinem 700seitigen Roman-Erstling Gewalten eines Toren, stellte Otto Wirz (1877-1946) in teils beschaulich-epischen, teils gewalttätig-skurrilen Bildern dar, wie der Ingenieur Hans Calonder durch die Begegnung mit den Büchern Hermann Hesses zum »Aussteiger« wird und sich den Zwängen des bürgerlichen Daseins für immer entzieht. Die Odyssee endet nach vielen Irrwegen in einer Kirche, wo Calonder vom wahnsinnig gewordenen Pfarrer nach dem Muster expressionistischer Schock-Dramatik geblendet, kastriert, gekreuzigt und mumifiziert wird. Kurz darauf bringt Clio, die Frau des Pfarrers, Calonders Kind zur Welt ...Kein Zweifel: mit einem Debüt dieser problematischen Art brachte sich Wirz - übrigens wie sein Calonder Ingenieur und nach eigenem Bekenntnis wie dieser an Hesse zum Aussteiger, d. h. Dichter geworden! - von Anfang an in eine schwierige Aussenseiterposition. Und er tat, sieht man von den harmlosen Liebesromanen Späte Erfüllung (1936) und Rebellion der Liebe (1937) einmal ab, herzlich wenig, um ein für das breite Publikum »lesbarer« Autor zu werden.Mit Die geduckte Kraft trieb er 1928, also lange nach Geschäftsschluss, die expressionistische Manier auf die Spitze, und mit Prophet Müller-zwo lieferte er just zum deutschen »Neuaufbruch« von 1933 ein Buch, welches dem geforderten »gesunden Tatmenschen« ein weiteres Mal den Typus des tief verunsicherten, innerlich zerrissenen Anti-Helden gegenüberstellte. Was er schrieb, war schonungslos bekenntnishaft, denn er selbst wurde lebenslang qualvoll hin und her gerissen zwischen Bürgerlichkeit und Rebellion, Kultur und Bilderstürmerei, Ideal und Wirklichkeit, himmelstürmendem Wollen und bruchstückhaftem Vollbringen. Selbstbewusstes Genie, das er war, hielt Wirz es sich z. B. zugute, von mehreren Liebschaften gleichzeitig zu zehren, was ihn häufig zu einem aufreibenden Doppelleben nötigte. Zuletzt verstrickte er sich auch noch hoffnungslos zwischen den zwei Vaterländern Deutschland und der Schweiz, denen er beiden durch das »Dritte Reich« hindurch treu zu bleiben suchte. Dennoch wollten die NS-Kulturbonzen, um die er sich so lange wie möglich bemühte, von seinem »entarteten« Expressionismus letztlich nichts wissen, und in der Schweiz, wo er einflussreiche Freunde, aber kaum Leser hatte, landete er schliesslich als einer der »Zweihundert« auf der Femebank des geistigen Landesverrats.Als er am 2. September 1946 in Gunten bei Thun starb, hinterliess er den monumentalen Roman-Torso Rebellen und Geister, den Wolf Wirz 1965 aus dem Nachlass herausgab: eine reflexionsbeladene Spiegelung der Oltner Kinderjahre, die das expressionistische Sprachexperiment in trotziger Monomanie noch weit über die »Gewalten« hinaustreibt. »Vielleicht geht Ihnen die grimassierende Bubensprache auf die Nerven«, meinte Wirz 1945 Carl Seelig gegenüber. »Aber ich schreibe ja nicht für höhere Töchter aus den Achtziger Jahren. ja, ich weiss nicht einmal, für wen eigentlich. Wahrscheinlich schreibe ich, weil ich verrückt bin. Herrliches Dasein, was!«(Dank an Charles Linsmayer.)