Bemerkung:
EA dieser Ausgabe. (= Edition Ars et Architectura).- Im Mai 1914 erschien im Verlag der avantgardistischen Berliner Wochenzeitschrift "Der Sturm", zwischen Graphiken von Oskar Kokoschka und Gedichten von August Stramm, ein schmales Buch mit dem Titel "Glasarchitektur". Damals rechnete wohl niemand damit, daß sein Autor, der als Phantast gleichermaßen bewunderte und belächelte Dichter Paul Scheerbart (1863-1915), sich mit dieser Publikation einen Platz in der Architekturgeschichte erobern würde. Daß es dennoch geschah, verdankt sich in erster Linie Scheerbarts Begegnung mit dem jungen Architekten Bruno Taut. Taut, der gerade am Modell eines Glashauses für die Werkbundausstellung von 1914 in Köln arbeitete, machte sich Scheerbarts Architekturphantasien gänzlich zu eigen. Er verbreitete sie in vier illustrierten Büchern, und er installierte den Dichter als Leitfigur einer von ihm gegründeten Architektengruppe ("Die gläserne Kette"), deren Mitglieder (u.a. Gropius, Scharoun, Poelzig) in späteren Jahren das Gesicht der modernen Architektur entscheidend prägten. Die Faszination, die Scheerbarts "Glasarchitektur" seinerzeit ausübte, läßt sich leicht nachvollziehen. Der Autor beschreibt kein singuläres Projekt, sondern eine gläserne Umwelt, und er beschreibt sie so, als sei er darin seit langem zuhause. Tatsächlich enthält das Buch die Quintessenz eines langjährigen, in zahlreichen Romanen und Erzählungen ausgebreiteten Nachdenkens und Phantasierens über Architektur, mit dem Ziel, die Erde in einen bewohnbaren Planeten und zugleich in ein kosmisches Kunstwerk zu verwandeln. Dieses hochgesteckte Ziel wird aber keineswegs praxisfern, sondern mit bemerkenswerter Sachkenntnis und vor allem mit soviel Leichtigkeit und Humor geschildert, daß es auch heute noch den Leser in seinen Bann zieht.