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Produktedetails


Art.Nr:
86525
Autor: / Künstler:
Theodor Plivier (Hrsg.)
Titel:
Ich bin der Weg. Revolutionäre Flugschriften 1922 - 1925
Untertitel / Graf. Technik:
Aufbruch, Hunger (2 Nrn.); Wahlrummel; 1914-1924 Zehn Jahre Geschichte; Raus die Gefangenen (2 Nrn.); Das Wahlkarussel; Menschenfresser; Die Gefangenen;
Schlagwort:
Soziale Bewegung - Anarchismus
Bindung / Bildgrösse:
Broschur
Verlag:
Verlag der Slitese
Ort:
Schlitz
Erscheinungsjahr:
1983
Buchdaten / Blattgrösse:
49 x 32 cm, 4 Blatt Einführung, 20 Blatt Reprint
Zustand:
Min. gebräunt, kleiner Besitzerstempel a. Vors., sonst tadell.
Bemerkung:
Seltener Reprint der extrem seltenen Zei§tschriften! - Vor seinem literarischen Durchbruch - 1930 mit dem Roman 'Des Kaisers Kulis' - gehörte Theodor Plivier als Wanderredner, Publizist, Verleger und Agitator zu den Aktiven der anarchistischen Bewegung in der Weimarer Republik. Seit seinem 17. Lebensjahr hing er einem Individual-Anarchismus an, als dessen Leitfiguren er Nietzsche, Stirner und Christus nannte und der sich aus der Lektüre von Bakunin, Kropotkin und Tolstoi speiste. Plivier sprach von seiner "Revolte ge- gen alle und gegen alles" und vertrat theoretische und politische Posi- tionen des Linksradikalismus - vom Antiparlamentarismus bis zum Antimilitarismus. Zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten gab er in den Jahren 1922 bis 1925 'Revolutionäre Flugschriften' heraus, als Schriftleiter des von ihm mitbegründeten 'Verlags der Zwölf', einer 'Gruppe revolutionärer Künstler'. Die zehn erschienenen Flugschriften bestanden aus vier unpaginierten Seiten im Zeitungsformat, in der Regel mit einem Holzschnitt als Titelgraphik. Sie erschienen in unre- gelmäßigen, (mit Ausnahme der ersten, ohne aktuellen Bezug publi- zierten Schrift 'Aufbruch') von den jeweils auslösenden Ereignissen oder Anliegen bestimmten Abständen - so etwa anläßlich von Hungerkrawallen in Berlin ('Hunger', zwei Versionen mit einem Titelblatt von Käthe Kollwitz, Juni 1922 und 1923), zu den Reichstagswahlen im Mai und Dezember 1924 ('Wahlrummel', 'Das Wahlkarussell'), oder im Rahmen einer Kampagne zur Amnestierung politischer Gefangener ('Raus die Gefangenen', Oktober/November 1924, nach der Be- schlagnahme erschien eine leicht veränderte zweite Auflage, dann im Juni 1925 'Die Gefangenen'). Das inhaltliche Progamm umfaßt Aufrufe, Briefe, Grundsatzartikel, etwa gegen den Parlamentarismus und Militarismus, für die direkte Aktion und eine Erneuerung der menschlichen Gesellschaft, außerdem emphatische Berichte über Not und Elend der Bevölkerung neben Daten- Lind Fakten-Informationen über die soziale Lage oder die Situation der Justiz und der Gefangenen. Plivier verstand seine Flugschriften als "wuchtiges Kampfwerkzeug für den antiautoritären Sozialismus", gelesen wurden sie wohl vorrangig in linksradikalen und anarchistischen Kreisen. Auch die Mitarbeiter gehörten verschiedenen linksradikalen Gruppen an - neben dem prominenten Anarcho-Syndikalisten Rudolf Rocker finden sich der Unionist Oskar Kanehl, Helene Stöcker und Armin T. Wegner, beide Mitglieder des Amsterdamer Büros der antimilitaristischen Internationale, der "Christ-Revolutionär" Gregor Gog, der russische Anarchist Joseph Gottverstein neben Ernst Toller, Erich und Zenzl Mühsam. Durch die Hilfe von Genossen bei der Werbung und beim Verkauf konnte die Auflage von anfänglich 13 Tausend auf 45 Tausend gesteigert werden - ehe dann das Stabilitätsjahr 1924 mit einer veränderten politischen Situation und rasch wechselnden Rezipien- tenbedürfnissen einen Einbruch brachte, der im folgenden Jahr der Tätigkeit des Verlags ein Ende setzte. Der kleine hessische Verlag der Slitese macht die zehn Flugschriften Pliviers nun in einem großformatigen, sorgfältig gedruckten Reprint unter dem (einem programmatischen entnommenen) Titel 'Ich bin der Weg' erstmals einer breiteren Offentlichkeit zugänglich. Eine editorische Notiz gibt neben der Reihenfolge und Datierung der Schriften interessante Hinweise auf annoncierte, aber offenbar nie erschienene Ausgaben und auf Pliviers andere, kleinformatige Flugschriften. Das ausführliche und informative Vorwort von Ulrich Linse liefert Material zum Kontext der Flugschriften und erläutert das Spannungsfeld der Weltanschauung Pliviers zwischen extremem. Individualismus und Solidarität mit den Menschen - dabei die Ambivalenz in seinem Verhältnis zur Masse nicht unterschlagend. Linse deutet Plivier als Rebell und Prophet einer Religion der Revolte und des Diesseits, sowohl als Agitator in Massenversammlungen als auch als individuellen, "metapolitischen" Prediger geist-revolutionärer Vorstellungen. Interessant sind Linses Ausführungen iiber die ver- schiedenen Figuren des breiten Spektrums von den Anarchisten bis zu den Vagabunden. Linse zitiert ausführlich zeitgenössische Stimmen und hat für seine Darstellung unveröffentlichtes Material benutzt: Briefe Theodor Pliviers an seine Frau Maria und Teile aus dem Nachlaß von Pliviers Sekretär Harry Wilde. Neben aufschlußreichen Einblicken (etwa in Pliviers Verkaufsstrategien) führt das allerdings zu einer Überbetonung der Aspekte, die dieses Material bereitstellt. So bleiben die Hinweise auf Pliviers Verhältnis zum Kommunismus eher unklar bzw. plakativ durch die Reduzierung auf das unergiebige Gegensatz- paar Staatskommunismus - Antikommunismus. Hier hätte nur eine stärkere Differenzierung und Kontextbezogenheit zu angemessenen Schlüssen geführt. Außerdem sieht Linse den späteren Plivier wohl doch zu sehr aus der Perspektive seiner anarchistischen Zeit, z.B. bei der Deutung des in der Tradition dokumentarischer Romane der Weimarer Zeit geschriebenen Buches 1Stalingrad1 als eines "metahisto- rischen Dramas von Fall und Auferstehung". Insgesamt wird der Leser jedoch sehr kenntnisreich und lebendig an eine wichtige Quelle für die Beschäftigung mit linksradikalen Vorstellungen der frühen zwanziger Jahre herangeführt. (Sigrid Schneider)
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