Autor: / Künstler:
Fritzsche, Bruno u. Thomas Frey, Urs Rey, Sandra Römer
Bemerkung:
EA. «Auf gegen 300 Karten» werden «die fundamentalen Strukturveränderungen der Schweiz im 19 und frühen 20. Jahrhundert» präsentiert. - «Seit 1850 sind durch die Eidgenössischen Volkszählungen und weitere Erhebungen des Bundes riesige Datenmengen zusammengetragen worden, die vorwiegend in Tabellenform veröffentlicht wurden. Ein kleines Team um Bruno Fritzsche, der bis vor zwei Jahren eine der drei Professuren an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich innehatte, hat diese Daten neu aufbereitet und durch unpubliziertes Material ergänzt. In ihrem historischen Strukturatlas visualisieren sie in rund 250 Karten die Entwicklung der Schweiz im 19. Jahrhundert. Die Karten beziehen sich zum grössten Teil auf den Zeitraum zwischen 1870 und 1910 und beleuchten damit eine Epoche schneller und tief greifender Veränderungen in unserem Land. Bei einzelnen Themen führen die Karten bis in die Gegenwart. Der Atlas ist in vier Teile gegliedert: «Demografie und Siedlung», «Verkehr und Kommunikation», «Wirtschaft» sowie «Gesellschaft». Als Einstieg in diese vier Schwerpunkte gibt je eine Einleitung einen gerafften Überblick sowie Hinweise auf die wichtigste Literatur und den Forschungsstand. Jeweils eine Doppelseite ist sodann einem Thema gewidmet. Auf der linken Seite befindet sich der Text, der eine Kartenserie auf der rechten Seite kommentiert.Die meisten Karten basieren auf den Bezirken als Grundeinheit und zeigen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unterschiede innerhalb der Schweiz. So findet man Informationen zu Geburten, Sterblichkeit und dem regional unterschiedlichen Wanderungsverhalten. Hier zeigt sich, dass das bernische Hügelland südlich der Stadt Bern und des Emmentals vor 1910 die höchsten Abwanderungsquoten des Landes aufwies. Weitere Karten illustrieren den Strassenverkehr, den Schienenverkehr und die Post. Im Bereich der Wirtschaft lässt sich ferner plastisch nachvollziehen, dass der Kanton Bern in der Baumwoll- und Seidenindustrie nahezu ein weisser Fleck war. Hingegen war er bei der Metall- und Maschinenindustrie und bei der Lebensmittelherstellung beschäftigungsmässig bei den Leuten. Schliesslich stellen die Autoren die Entwicklung des Dienstleistungssektors breit dar und sprechen spannende Themen aus den Bereichen Bildung, Politik und Kultur an. Hier erweist sich jedoch die Darstellung auf Bezirksebene manchmal als etwas undifferenziert, indem zum Beispiel die Textilindustrie der Stadt Bern im Durchschnitt des Amtsbezirks verschwindet.Der Atlas ist zweifellos ein neues Standardwerk zur jüngsten Geschichte derSchweiz. Im Gegensatz zu vielen anderen Atlanten ist er vom Format und Umfang her sehr handlich. Die gute Gliederung erleichtert die Suche bestimmter Themen. Gestaltung und Inhalte laden sowohl zum gezielten wie zum kursiven Lesen ein. Der einzige Kritikpunkt bezieht sich auf die kartografische Darstellung: Die Bezirke sind mit wenigen Ausnahmen als Fläche eingefärbt. Die relativ grossen Grundflächen der Bezirke in den Alpen stechen dabei häufig im Kartenbild hervor und lassen etwas vergessen, dass die Schwerpunkte des besiedelten Gebietes im Mittelland liegen. Im 1998 erschienenen «Historisch-statistischen Atlas des Kantons Bern» wurde dieses Problem besser gelöst, weil dort entweder Kreissignaturen verwendet oder im alpinen Raum nur die besiedelten Talböden eingefärbt wurden.Bei vielen Themen ergänzen sich der Berner Atlas und der Historische Strukturatlas, indem bernische Entwicklungen mit der nationalen Situation verglichen werden können. Wer sich mit Schweizer Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte beschäftigt, erhält mit dem vorliegenden Atlas ein unentbehrliches Nachschlagewerk, das die räumliche Entwicklung in verschiedensten Facetten darstellt. Wünschbar wäre nun eine zusätzliche Publikation, welche das 20. Jahrhundert abdeckt und damit einen Bogen zu den zwei Ausgaben des «Strukturatlas der Schweiz» spannt, welche 1986 und 1997 erschienen sind.» Christian Lüthi.