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Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 206
Book Details / Size:
Faksimile: 2°, (36 27,4 cm), 92 Seiten (46 Blatt); Kommentarband: 4° (29 x 20 cm), 318 S., einige Abb.
Description:
Eins von 680 Exemplaren. - Originalgetreue Faksimile Der um 1450/1460 wahrscheinlich in den burgundischen Niederlanden entstandene lateinische Einsiedler Heilsspiegel gilt als einer der am reichsten ausgestatteten Heilsspiegel überhaupt. In 176 Miniaturen werden Szenen aus dem Neuen und dem Alten Testament zu einem engen Beziehungsgeflecht verwoben, mit dem der Buchmaler die Geschichte des Sündenfalls und der Erlösung der Menschheit von ihrer Erschaffung bis zum Jüngsten Gericht in lebendigen Bildern vor Augen führt. Damit illustriert der Heilsspiegel in Bild und Wort, was in so vielen mittelalterlichen Bildwerken begegnet, nämlich die Überzeugung, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Neuen und dem Alten Testament gibt.Die 176 mit zarten Farben lavierten Federzeichnungen schmücken in einer fortlaufenden Reihe die insgesamt 92 Seiten im Format 36 27,4 cm. Höchst ungewöhnlich für einen Heilsspiegel ist, dass alle Ränder mit reichem Dornblattdekor in Gold geschmückt sind. Insgesamt 57 dreizeilige Zierinitialen auf Blattgoldgrund schmücken den Text.Mit dem Heilsspiegel wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein neuer Buchtypus geschaffen, der von Anfang an als Text-Bild-Programm konzipiert war. Der »Heilsspiegel« oder das Speculum humanae salvationis stellt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Alten und dem Neuen Testament her: zu jedem Geschehnis aus dem Neuen Testament findet er drei Vorbilder vorzugsweise aus dem Alten Testament, die das neutestamentliche Geschehen vorankünden. Damit soll »bewiesen« werden, was der Inhalt des christlichen Glaubens ist: die Erlösung der Menschen durch Christus ist die Erfüllung der dem Volk Israel gegebenen Verheißung. Dieses sog. typologische Denken beherrscht das gesamte mittelalterliche Welt- und Geschichtsverständnis, und damit auch die durch die bildenden Künste dargestellten Themen.Der Heilsspiegel wendet sich sowohl an Geistliche wie an gebildete Laien. Die Texte erläutern die Bilder, und die theologischen Aussagen sind dank der Bilder schneller erfassbar. Die Bilder fungieren als eingängige Verstärker, rufen in Erinnerung und erläutern, was der Laie auch beim Kirchgang auf Wandmalereien, Altartafeln oder in den Glasfenstern abgebildet sah. Eine der schönsten Handschriften, die diese Überlegungen in ausdrucksstarke Bilder übersetzt, ist der Heilsspiegel aus Kloster Einsiedeln.Die Bilder erzählen aber nicht nur die biblische Geschichte, sondern auch vom mittelalterlichen Alltagsleben. Viel Platz wird architektonischen Darstellungen eingeräumt: mächtige Stadttore, Tempelarchitekturen, Brunnen zum Wasserschöpfen, Werkstätten wie z.B. eine Schmiede mit Blasebalg oder ein Kran auf einer Baustelle künden von einem städtischen Ambiente voller Leben. Herrscher, Ritter, Handwerker bevölkern viele Miniaturen.Das Medium der Federzeichnung bietet dabei ganz besondere künstlerische Perspektiven, da sie eine viel höhere Plastizität bei der Figurengestaltung erlaubt. In vielen Fällen berücksichtigt der Meister sogar den Schattenwurf, das Licht kommt dabei stets von links. Mit großem zeichnerischen Geschick schwelgt der Meister des Einsiedler Heilsspiegels in der Draperie der Gewänder. Ihre graphische Wirkung erzielen die Miniaturen durch die mal feinere dann wieder stärkere Schraffur. Es scheint, als ob der Meister des Einsiedler Heilsspiegels versucht habe, den bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten des damals noch jungen Kupferstichs nachzueifern. Auch gekonnt eingesetzte Farbakzente verleihen den vier Bildern auf jeder Doppelseite zusätzliche Spannung.In den flandrischen und nordfranzösischen Städten unter der Herrschaft des Burgunderherzogs Philipps des Guten blühten die Künste der Buch- und Tafelmalerei wie nirgendwo sonst. In diesem produktiven Klima entstand um 1450/1460 der nach seinem heutigen Aufbewahrungsort benannte Heilsspiegel aus Kloster Einsiedeln. Die ungewöhnlich reich ausgestattete Handschrift wird mit einem Meister in Verbindung gebracht, der sowohl mit dem Werk des niederländischen Tafelmalers Rogier van der Weyden sehr gut vertraut war als auch mit den Stundenbüchern des Boucicaut-Meisters, eines der berühmtesten Meister der Pariser Buchmalerei. Es gibt Hinweise, dass der Meister des Einsiedler Heilsspiegels zeitweise in den Diensten von Dreux Budé stand, dem einflussreichen Notar und Sekretär der französischen Könige Karl VII. und Ludwig XI. und also für die höchsten Adelskreise arbeitete.